Dezember 2006

Die Vorfreude

Die Vorfreude fehlt noch in den Regalen! Das fiel mir aber auch nur ganz zufällig auf, weil sich genau zu einander passende Ereignisse für mich aneinander reihten – gestern! Das begann mit dem Foto, das ich suchte, irgendeines ein wirklich ausdruckstarkes glasklares sollte es sein – es sollte einfach nur Freude zum Ausdruck bringen – wortlos. Mein Fotovorrat reichte nicht soweit (das machte mich schon nachdenklich!), dann der Griff zum Internet - Stichwort eingeben – Treffer! Eine Gruppe junger Menschen schwingen die Flagge Deutschlands, ein gewonnenes Spiel – Titel des Bildes „Freude“; nach vielen Buchtiteln und schönen Landschaften das Gesicht eines Kleinkindes... das ist es! – Dann in der S-Bahn, auf dem Weg nach Hannover, vier junge Mädchen schräg hinter mir, vielleicht so um 14 Jahre alt, viel Albernheit, dann wie der zischende Blitzeinschlag in die Clique, der Satz „ich hätte nichts dagegen, wenn ich morgen tot wäre!“ eisige Stille aus Richtung der Gruppe, „wieso das denn, is’ doch bald Weihnachten, freuste dich nicht?!“ – es folgen Erklärungsversuche – kurz, das junge Mädchen fühlt sich in ihrer Familie als defektes Reserverad, keinen Wert darstellend und für alle Unglückslagen der Familie verantwortlich gemacht – nach zwei Minuten albern die drei anderen wieder darüber hinweg, sie wollen ins Kino und nicht zur Beerdigung. Und schon die nächste Begegnung, ein großes Plakat, viel Gold, viel Tannengrün, glänzende Augen der versammelten heilen Familie und dazu der werbende Spruch „Mit uns ist Freude garantiert“ und wenige Schritte weiter „ich freu’ mich drauf!“ – Damals war’s, da gab es noch eine Zeit vor der Freude, die Vorfreude. Wo ist sie geblieben? Dieses „gespannt-sein“, dieses „sich-darauf-einstellen, dieses „nicht-abwarten-können“ und doch müssen. Werdende Mütter, werdende Eltern kennen diese Zeit der Vorfreude noch, wenn sich Unsicherheiten einschleichen, dann wieder Hoffnungen und prophetische Sichtweisen dazu kommen, wenn Mut machende Träume sich Raum nehmen, als drehte sich alles nur um das werdende Kind, dabei geht es auch um die Eltern, die Familie.

Jetzt mitten in der Adventszeit bietet sich so eine Zeit der Vorfreude wieder an, über die Geschenke hinaus blicken, tief in sich Bewegungen, Regungen erkennen, neben sich den Mensch in den Blick nehmen, seiner Not einen Sprachraum geben, eine Freude, ein wohltuende Hoffnung an den nahe Horizont zeichnen, darauf zugehen – Die Vorfreude fehlt noch in den Regalen, wie sollte diese auch verpackt werden, so gefühlvoll diese Freude schließlich ist, sie müsste schon beim Auspacken aus dem Karton in einem Meer der Hoffnungen verwehen – wer wollte das kaufen? Und schließlich: Um die Freude der Weihnachtszeit wirklich verstehen, begreifen zu können – benötige ich tatsächlich diese Vorfreude und die kann ich mir nur ganz persönlich gönnen, schenken!

     

    Christel Prüßner, Religionspädagoge und Diakon