Jan. 2007

„und wer denkt an uns?“

Es sind recht viele Redewendungen, die mir einfallen, wenn mich an diesen Ausruf erinnere, den ich vor knapp einer Woche als Erwiderung zu hören bekam – so richtig mit einem dicken Vorwurf. Aber was ging diesem Ausruf voraus? War es die Überschrift auf der Titelseite der Tageszeitung „Zuschüsse für [...] müssen erhöht werden?“ oder war es bei Frühstück & Gespräch im Kirchenladen, als es endlich einmal um die Rente ging! Oder war es doch neulich im Personalbüro Deiner Firma, als es um die Arbeitsüberlastung und die hohen Krankenstände einer konkreten Abteilung ging. Oder... Ich gewinne den Eindruck, da entdecken sich viele wieder, wenn es heißt, „...und wer denkt an uns?!“

Dabei haben wir die unausgesprochene Freiheit in der Tasche, dass wir alle ab sofort an die anderen denken. Dem steht nichts entgegen und schon passiert das wunderbare, dass auch uns gedacht wird. – Ich muss an den Besuch einer Delegation aus Tansania (Afrika) in Hamburg-Altona denken. Sie waren eingeladen, als Partner einer Kirchengemeinde für einige Tage in Hamburg Gäste zu sein. Und sie hatten sich ein Gastgeschenk überlegt. Die Gastgeber waren zunächst sehr berührt – einige derer, die bei der Übergabe dabei waren, konnten ihre Irritation nicht verbergen... In Tansania hatte man erfahren, dass es in Hamburg sehr viele Menschen gibt, die nicht wissen, wie sie jeden Tag etwas zu essen bekommen könnten, die auf Suppenküchen angewiesen sind... „Wir haben so viel Hilfe erlebt, jetzt wollen wir auch helfen, so wie wir von der Ferne helfen können!“

„Und wer denkt an uns?“ das eröffnet eine bestimmt berechtigte Gegenfrage „Und an wen habt Ihr gedacht?“

Bedenke ich das alles mit Geduld, dann fällt mir auf: Diese Umkehrung des Denkens auf alle Gruppen in unserem Staat übertragen müsste einen enormen Entwicklungsschub mit sich bringen, das beginnt in der Familie, in der Partnerschaft; es bringt Bewegung in die Schulen, in die Betriebe, es belebt die Vereine und die kleinen Gruppen und es ist eine Brücke zwischen den Generationen... Und das alles ohne Kampagne, ohne Werbeslogan, ohne den Eigennutz. - Und? – Bin ich nur ein einsamer Träumer?

     

    Christel Prüßner, Religionspädagoge und Diakon