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 ...ich hab’s vergessen!

Mitten in der Ferienzeit – alles ist ganz anders, keine „dröjen“ [trocknen] Versammlungen, keine langweilige Sitzung, keine überflüssigen Berichte... Vergessen wir’s einfach!

Und jetzt im Urlaub darf das auch alles einfach ganz hinten in die Ecke gestellt werden, wo keiner dran denken muss. – Unbeschwert den Tag erleben, die Umgebung, die Menschen um mich herum. Die Aktionen mit den Kindern tun gut. Sie bringen ganz neue Gedanken ins Spiel – die Kinder. Außerdem leben sie vom Vergessen – und wie oft werfe ich es ihnen dann doch auch vor. Das Vergessen ist eine wichtige Funktion des Gedächtnisses. Die Menge der über die Sinnesorgane aufgenommenen Informationen ist gewaltig. – Und dazu sagte mir kürzlich ein weiser Mitmensch: „Vergessen führt dazu, dass nur ein kleiner Teil täglich unsäglich vielen Information - nämlich der relevante - tatsächlich gemerkt wird!“

„Stimmt nicht!“ setzte ich mich zur Wehr.

Ich muss an einen Menschen denken, dem es sehr schwer fällt, selbst die kleinsten Kleinigkeiten zu vergessen und das kann zur Last werden, das kann schmerzen, geradezu krank machen. Das verletzende Wort, damals als sie noch Kind war „Du Bastard!“ und dann später dieser wie mit dem Brennstift eingravierte Satz „Aus Dir wird doch nie was richtiges!“ – dann nach der Geburt des ersten Kindes die fahrlässige Bemerkung des Arztes „Sie haben bestimmt zu viel gesoffen - ihr Kind wird nie ganz normal sein!“ dabei kannte sie bis dahin kein alkoholisches Getränk – Zwischendrin und später immer wieder der gut gemeinte Rat: „Vergiss es doch einfach!“ – Es gab so viele gute Momente im Leben, die all das Böse hätten überdecken können... aber es reicht ein unbedachtes Wort aus dem Mund eines vertrauten Menschen und schon ist alles das wieder nicht – nichts ist vergessen, die wichtige Funktion versagt ihren Dienst.

Darüber muss gesprochen werden, auch im Urlaub, gerade dann, wenn die Ruhe vorhanden ist, einen Satz nach dem Anderen sagen zu können und das Erlebte zu sortieren - mit den nun neuen Eindrücken in Verbindung zu bringen.

Ich muss dann den Fahrer eines Linienbusses denken: Ein wunderschöner Sonntagmittag, ich warte auf den Bus nach Springe, und dann sehe ich, wie der Bus genau in die falsche Richtung fährt, aus der er grad wenige Minuten zuvor gekommen ist... 15 Minuten später, ich kann einsteigen, der Mann lächelt und ist doch dabei auch verlegen... „Sie haben lange gewartet, ja? – soll ich Ihnen was sagen, ich hatte vergessen nach Holtensen zu fahren und was soll ich ihnen sagen, da standen zwei Wanderer und warten – haben Sie Verständnis?!“ Das liegt schon einige Jahre zurück, aber diese positive Begegnung ist noch nicht vergessen, manchmal erinnern wir uns noch beide daran, aber unsere Gespräche gehen dann in eine andere Richtung. Und wenn das Vergessen solch eine Wendung erleben darf, dann war es doch ein nachhaltiger Erfolg. Und OFFEN GESAGT, wenn da eben nicht aus Springe so ein überraschender Anruf gekommen wäre, ich hätte da vergessen, meine Zusage einzuhalten!

Gerne lade ich hiermit ein, jetzt am Wochenende, einmal die Seele baumeln zu lassen, das wird ja oft genug auch vergessen; zum Beispiel mit einem Besuch in der Boitzumer Kapelle. Die ist in der „hellen Jahrezeit“ tagsüber ohnehin täglich geöffnet.

     

    Christel Prüßner, Religionspädagoge und Diakon