OFFEN GESAGT...
September 2007 |
...wir sind eine ganz schön verfressene Gesellschaft – oder etwa nicht? |
Mit Sicherheit kann nicht behauptet werden, in unserem Land herrsche der ganz große Hunger – obwohl: es gibt auch hier Menschen, die an vielen Tages des Monats nicht wissen, wie sie die für die Gesundheit ausreichenden Mahlzeiten auf den Tisch bekommen, das Geld reicht einfach nicht aus – und gut, wenn es dann eine Suppenküche am Ort oder mitfühlende Nachbarn gibt. – Ich stelle mir vor: In einer fernen Zeit, irgendwann, die Menschheit des Planeten Erde ist gemeinschaftlich ausgewandert zu einem anderen Ziel – keiner ist mehr da, aber es kommen Besucher an diesem blauen Planeten vorbei, machen Halt, ahnen die Spuren, graben kurz nach und entdecken Fotos von Straßen, in denen eine Imbiss-Bude neben dem nächsten Schnell-Restaurant zu finden sind, und selbst auf der anderen Straßenseite... und mitten drin immer wieder mal einen Laden mit den neusten Textilien... Die Besucher können sich keinen anderen Reim darauf machen, als diesen einen: Die Wesen, die hier einmal gesiedelt hatten, waren unentwegt darum bemüht, etwas essbares zu sich zu nehmen und weil die vielen Speisen die Kleidung bekleckerten, musste auch ständig neue Bekleidung erworben werden – eine der Durchreisenden hatte den leisen Verdacht, hier habe man früher einmal mit dem vielen Fressen eine unbekannte Sehnsucht betäubt. Am kommenden Sonntag wird in den evangelischen Kirchen ein Text aus der Bibel vorgelesen, der geradezu aktuell auf diesen Zustand von heute einzugehen scheint. „Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung?“ Wir sorgen uns ja gar nicht wirklich darum – schon lange nicht mehr – nein, wir stopfen ins uns rein, alles was zu greifen ist. Und das nennen wir dann auch noch ganz positiv orientiert „Wirtschaftswachstum“ und sollten uns dabei ganz wohl fühlen - glücklich sein. Diesen Text der Bibel [Matthäus, 6, 25-34], dargestellt als Worte des Jesus, empfehle ich, einmal vollständig zu lesen, weil wir uns darin wie in einem Spiegel sehen können. „Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, [...] Selbst der vornehme König Salomo konnte mit seinen vielen Kleidern ihre Schönheit nicht erlangen“. Vor einigen Tagen sah ich einen glücklichen Menschen, nicht nur ich, wir waren eine kleine Runde, die sich zu „Frühstück & Gespräch“ getroffen hatten – ausnahmsweise mal nicht im Kirchenladen Eldagsen - wir waren bei einer Frau, die wahrlich harte Monate und Tage hinter sich weiß und Schritt für Schritt einen neuen Alltag zu gestalten beginnt, sie hatte es gewagt, sich mit der Gemeinschaft im vertrauten Kreis überraschen zu lassen. Das Essen? Geschah ganz nebenbei - die Kleidung? kein Thema - die Sorge um den nächsten Tag? „Ich freue mich, dass ich mit Euch zusammen sein darf!“ und das war keine Floskel, das war so von Herzen kommend gemeint. Offen gesagt, ich habe nichts gegen ein gutes Essen, nichts gegen das Satt werden, auch nichts gegen eine klimatisch passende und ansehnliche Kleidung. Doch warum sorgen wir uns nicht viel mehr um das Menschsein – auch das des Nachbarn? |
Christel Prüßner, Religionspädagoge und Diakon |