"Nun nennt das Kind
doch endlich mal beim Namen!" - In einem Restaurant hörte ich
vor wenigen Tagen diesen geradezu empörten Ausruf. Einige Tische
hinter uns saß eine Gruppe Frauen und Männer, offenkundig erhitzt
in Verhandlungen. Das Kind beim Namen nennen? Ich musste an die
jungen Menschen denken, mit denen ich über die Woche zusammentreffen
darf, und ich sah auf einmal das Gesicht von Sarah, die mit ihren
sechs Jahren mich einmal ganz böse ansah, weil ich sie immer nur mit
"Du" ansprach, sie war für die eine Aktion gekommen,
zusammen mit anderen Kindern. Sie hatten sich alle mit ihrem Namen
vorgestellt, ich mich ihnen auch. Doch ich kann mir nur sehr schwer
einen Namen merken und bei Sarah war das gar nicht anders. "Ich
heiße Sarah, kannst du dir das denn nicht merken?!" Sie hatte
ja so recht. Wie schön ist es, einen ganz eigenen Namen zu tragen,
etwas das mir ganz allein gehört, auch wenn noch eine zweite Sarah
in der Gruppe gewesen wäre, beiden würden ihren ganz eigenen Namen
tragen. In diesem Namen schwingt viel mehr mit, als mit einem ganzen
Sack voll Worten erzählt werden kann. Das beginnt schon beim
Aussprechen. Darin schwingen Gefühle genauso mit, wie die pure
Anerkennung der angesprochenen Person.
Wenn das schon beim Namen
eines Menschen ist, so auch bei den Dingen und Umständen, denen wir
einen Namen geben, die wir benennen. Ob es das Brot ist oder das
Auto, die Liebe oder der Sturm. Ich muss mich an einen Gegenstand
erinnern, dem ich als Kind einen ganz eigenen Namen gab, ohne mir
dessen wirklich bewusst zu sein. Bis mich erstaunlich viele Jahre
später jemand fragte: "Was meinst Du eigentlich mit 'Kelchen'?"
- Keiner hatte mich bis zu dem Zeitpunkt korrigiert, vielleicht waren
es aber viele, die mich nicht zu fragen wagten. Kelchen, das war für
mich "Das Ding, mit dem recht viele Flaschen verschlossen werden
und das mit einem Flaschenöffner abgenommen wird!" - Ich musste
lernen, dass der allgemeingültige Name ein ganz anderer war. Das
Ding hatte ich aber dennoch beim Namen nennen können. - Wie anders
die phantasiereichen Erfindungen der Menschen, die mit Namensgebungen
mehr in die Irre verweisen, als zu einer Wiedererkennung beizutragen.
Wenn es statt "Entlassung" immer noch "Freisetzung"
heißt oder wenn die Krankheit als "gesundheitliche Störung"
verniedlicht wird; oder wenn der Soldat "ein Gefallener"
ist und nicht "ein Getöteter"; wir sprechen von "Wellness"
und könnten das Wohlfühlen an so vielen Stellen erleben und
genießen. Und selbst von "Einsparung" gesprochen wird,
geht es eher um ein "Mehrausgabe" an anderer Stelle, meist
zulasten ohnehin schon hart betroffener Menschen."
"Nun nennt das Kind mal
beim Namen!" Ich muss dabei immer wieder an Isaak denken. Ein
Kind, mit dem die Eltern wirklich nicht mehr gerechnet hatten. Als
die Mutter erfuhr, dass sie in neun Monaten ein Kind gebären sollte,
musste sie aus purem Spott über diese Ankündigung laut lachen, so
viel Unverstand schwang für sie in der Ankündigung mit. Und dann
war er da, der Sohn und die Eltern erinnerten sich an ihr ungläubiges
Lachen und gaben ihrem Kind genau den dazu gehörenden Namen, denn
gleichzeitig waren sie überglücklich über dieses Geschenk: Isaak -
"ER lacht" - Gott lacht, und er hat uns gezeigt, wie klein
unser Vertrauen ist und wie schön es ist, sich einfach nur
beschenken zu lassen. Der Name der Eltern: Sarah und Abraham.
Warum also nicht in Zukunft
das Kind beim richtigen Namen nennen? Wenn wir das Klima, die
Energie- und Wasserreserven, das soziale Gefüge dieser Welt wieder
halbwegs in den Griff bekommen wollen, dann sollten die Umstände und
notwendigen Maßnahmen mit klaren Worten und Werten beim Namen
benannt werden - andernfalls werden wir uns weiterhin missverstehen
und keiner Lösung wirklich näher kommen!
|
der veröffentliche Text lautete dann:
Wir sollten das Kind beim Namen nennen
Das Kind beim Namen nennen? Ich muss an die jungen
Menschen denken, mit denen ich über die Woche zusammenkomme und ich sah
auf einmal das Gesicht von Sarah, die mich mit ihren sechs Jahren einmal
ganz böse ansah, weil ich sie immer nur mit „Du“ ansprach. Sie war für
eine Aktion gekommen, zusammen mit anderen Kindern. Sie hatten sich alle
mit ihrem Namen vorgestellt, ich mich ihnen auch. Doch ich kann mir nur
sehr schwer einen Namen merken. Bei Sarah war das nicht anders. „Ich
heiße Sarah, kannst du dir das denn nicht merken?!“ Sie hatte ja so
recht. Wie schön ist es, einen ganz eigenen Namen zu tragen, etwas das
mir ganz allein gehört. In diesem Namen schwingt viel mehr mit, als mit
einem ganzen Sack voll Worten erzählt werden kann.
Wenn das schon beim Namen eines Menschen so ist, so dann auch bei den
Dingen und Umständen. Wenn es statt „Entlassung“ immer noch
„Freisetzung“ heißt oder wenn die Krankheit als „gesundheitliche
Störung“ verniedlicht wird. Warum also nicht in Zukunft das Kind beim
richtigen Namen nennen?
Wenn wir das soziale Gefüge dieser Welt wieder halbwegs in den Griff
bekommen wollen, dann sollten die Umstände und notwendigen Maßnahmen mit
klaren Worten und Werten beim Namen benannt werden - andernfalls werden
wir uns weiterhin missverstehen und keiner Lösung wirklich näher
kommen!
24.09.2010 / LKDA Seite 5 Ressort: SPRI
|