DA 2010-07
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ICH BIN!

 

ICH BIN so wie ich bin! - Auch wenn diese Feststellung so gar nicht in diese Welt passt, achten Sie doch in den nächsten Tagen auf unsere Sprache untereinander – oder auch nur einfach beim Selbstgespräch vorm Spiegel auf die Wahl der Worte, wenn es um die eigene Person geht, wenn ich von mir rede. Wie oft kommen Wunschvorstellungen in die Sprache, Vergleiche mit anderen Personen der eigenen Umgebung. - Und wer weiß: Am nächsten Tag schon heißt es, ich sei Weltmeister. Ich bin nicht Deutschland und ich bin auch nicht Papst. - Das ist eine Wortspielerei, wird mir dann gerne gesagt – oh, dann spielen wir doch mal auf diese Weise mit einem Kind, das lacht uns aus, oder es fängt an, das eher dumme Spiel zu in einer ihm eigenen Überzeichnung zu übernehmen – Kinder können das noch ganz unbefangen.

Ich muss an ein schon eine Weile zurückliegendes Ereignis denken. Da passierte nichts, was die Welt aus den Fugen geraten lässt, nein es war sehr unscheinbar – selbst damals wäre es keine Zeitungszeile wert gewesen. Nennen wir ihn Friedrich, den Mann, der schon seit einigen Jahren im Sommer immer wieder aus Freiburg herauf kam, in die Heimat seiner Kinder- und Jugendzeit. Von sich selbst sagte Friedrich gerne, ich bin ein Calenberger geblieben. Nach seiner Pensionierung hatte er sich daran gemacht, die Spur seiner Familie aufzunehmen. Er wollte anhand der Kirchenbücher eines Kirchspiels auf die Reise in eine weit zurückliegende Zeit gehen. Im Vergleich zu manch anderen Familienforschern hatte er es eher leicht; denn seine Familie war nie wo anders zuhause gewesen, als in diesem kleinen Dorf. Er kam jedes Jahr und arbeitete die alten Bücher ganz in Ruhe Seite für Seite durch, er überschritt dabei Jahrhundertmarken eher unbemerkt. Bis er dann zu mir kam und sagte, wenn es jetzt wirklich kein Kirchenbuch mehr gibt, dann habe ich es geschafft! – 1643 war das Anfangsdatum aller Aufzeichnung in dem Kirchspiel. Ältere Spuren hatte der 30jährige Krieg vollständig zunichte gehen lassen. Und genau in diesem Jahr findet er im Buch der Getrauten und im Buch der Getauften eine Spur seiner Vorfahren. Wenige Jahre vor dem Ende des schrecklich langen europäischen Konfliktes gab es Neuanfänge. „Ich bin fertig!“ so sagte er, und ich musste über diesen Satz schmunzeln. „Wissen Sie was?!“ sagte er dann, „ich bin jetzt 78 Jahre alt, die Reise hier herauf wird auch nicht leichter, wer weiß, ob ich in nächsten Zeit noch einmal hierher kommen kann, lassen Sie mich noch einmal in diese Kirche da gegenüber gehen!“ Er erinnerte sich an seine Konfirmation, nannte Namen, die auch mir nicht unbekannt waren. In der Kirche angekommen, schaut er sich noch einmal alles Details an, als fotografierte er sie mit seinen Augen. Und dann stand er am Taufstein, beugte sich vor und entdeckte eine Zahl: 1643 – stand langsam wieder aufrecht, und Tränen traten in seine Augen. „Ich bin hier getauft worden – und alle anderen aus meiner Familie auch, die in den Büchern gefunden haben!“ er musste das erst einmal richtig erfassen und dann weiter, „ich bin ein glücklicher Mensch, wissen Sie das?“ Da ahnte er noch gar nicht, was noch passieren würde. Noch während er diesen steineren und doch weichen Stein umfasste, kam ein anderer in die Kirche, der sich freute, die Tür offen zu finden. Er war mit dem Fahrrad aus dem Nachbarort herüber gekommen. Kommt langsam auf uns beide da am Taufstein zu, schaut sich den Mann aus Freiburg an, stutzt – „sag mal, kennen wir uns nicht?“ - der Weitgereiste fühlt sich noch gar nicht angesprochen „meinen Sie mich? - ich wüsste nicht, dass wir uns kennen!“ - „Hör mal, Du hast doch damals im SV im Sturm mit gespielt, Moment, Du hattest immer die Nummer 3, - Du musst der Fritz sein!“ - Was der da erzählte, schien zu stimmen „aber wer sind denn Sie!“ - „Heinrich, vom Hartjehof!“ - noch ging dem Mann aus Freiburg alles zu schnell „Du, ich bin ich hier getauft worden, hier, wie alle meine Vorfahren auch – und Du bist der Heinrich Hartje?!“ - die beiden musste ich ganz leise sich selbst überlassen, jeder hatte wenigstens einmal gesagt „ich bin glücklich, dich hier noch mal zu treffen“ und sie tauschten sich aus – da war jeder andere fehl am Platz. Nach über einer Stunde kamen sie zu mir herüber, ich könnte nun abschließen, und der Mann aus Freiburg schloss seinen Abschied mit dem Satz „ich bin froh, dass ich noch mal in diese Kirche gegangen bin!“ - „Ich bin“ - Ich bin glücklich - Ich bin Heinrich - Ich bin der Nachkomme einer schon alten Familie - Ich bin getauft! – Das sind die Dinge, die mich ausmachen. Ich bin – Du bist – Wir sind!


     

    Christel Prüßner, Religionspädagoge und Diakon